4.2 Häftlinge



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Eingangs ist die Gefangenenpopulation zu beschreiben. Gut zwei Drittel der Insassen der Leuchtenburger Strafanstalt sind Männer. Auch die Insassen anderer Strafanstalten sind überwiegend Männer (2). Auch aktuelle Zahlen belegen bei Männern ein häufigeres kriminelles Handeln als bei Frauen (3). Junge Männer sind heute besonders anfällig für Kriminalität.

Innerhalb der Gruppe der Delinquenten der Leuchtenburg sind Frauen zwischen 20 und 30 Jahren relativ stärker vertreten (4). Männer saßen auf der Leuchtenburg überwiegend auf Grund von Diebstahlsdelikten ein (5).

Die Altersverteilung zwischen 1724 - 1871 zeigt, daß ein Drittel der Delinquenten zwischen 21 und 30 Jahren alt ist. Das ergibt sich auch aus einem höheren Anteil der jungen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung in dieser Zeit. Die klassische Bevölkerungspyramide des ausgehenden 19. Jahrhunderts ist für den Untersuchungszeitraum teilweise deformiert. "Als Ergebnis von Bevölkerungskrisen und Kompensationseffekten ... ist ... ein unregelmäßiger, von Lücken und Ausbuchtungen geprägter Altersaufbau" (6) zu erwarten. Der lange Untersuchungszeitraum läßt es jedoch in diesem Fall zu, die Schwankungen zu vernachlässigen. Die Altersverteilung der Gesamtbevölkerung in Verbindung mit der größeren kriminellen Anfälligkeit junger Männer und den harten Disziplinierungsmaßnahmen des Staates gegenüber jungen Frauen (7) erklärt den großen Umfang der jungen Häftlingsgruppe.

Daß 13,5% der Häftlinge über fünfzig Jahre alt sind, widerspricht dem Aufbau der Alterspyramide gravierend. Diese Besonderheit in der Altersverteilung der Häftlinge kann unter anderem mit den fehlenden sozialen Sicherungssystemen erklärt werden und "der 'normalen' Altersverarmung der Arbeiter" (8). Zucht- und Arbeitshäuser werden zu Versorgungseinrichtungen für mittellose alte Menschen.

(9)

Im Zeitraum vor 1800 sind die über 51 jährigen die größte Häftlingsgruppe.

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Armut, Obdachlosigkeit, Betteln, Arbeitslosigkeit kriminalisierte die ständische Gesellschaft. Die bürgerliche Gesellschaft kriminalisiert nicht von vornherein die außerhalb der alten Ständepyramide existierenden Gruppen. Der Wertewandel um 1800 ist somit verantwortlich, daß nach 1800 weniger alte Menschen in Strafanstalten eingewiesen werden. Liberale Grundsätze sind eine Richtschnur der Reformen nach 1800. Mit der Entwicklung der kommunalen (11) und offenen Armenpflege (12) verlieren die Zucht- und Arbeitshäuser ihre Bedeutung als Aufbewahrungsort alter Menschen. Die Gemeinden sind verantwortlich für das Armenwesen (Unterstützungswohnsitz). Die Versorgung der mittellosen und nicht mehr durch die traditionellen Versorgungssysteme integrierten Alten begann verstärkt durch kommunale Institutionen zu erfolgen.

Nach 1800 werden zunehmend relativ weniger über fünfzigjährige eingeliefert als vor der Jahrhundertwende. Die absolute Anzahl der inhaftierten alten Menschen nimmt zwar nach 1800 noch zu, jedoch die relative Häufigkeit dieser Altersgruppe, gemessen an der Gesamtpopulation der Häftlinge, nimmt zunehmend ab. Das kann auch als ein Beleg vor allem für die Differenzierung und auch teilweise Verbesserung der Versorgungsleistungen für Randgruppen und Unterschichten gewertet werden. Die Entkriminalisierung der Arbeitslosen nach 1800 verringerte wesentlich den Anteil der Alten in den Leuchtenburger Strafanstalten.

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Bereits ab 1775 sind weniger Kinder (bis 15 Jahre) und Jugendliche (bis 20 Jahre) in der Strafanstalt inhaftiert, als eine Normalverteilung der Altersgruppen auf diese Jahre erwarten ließe (14), im letzten Vierteljahrhundert vor 1871 wurde nur noch ein Kind eingeliefert. Kinder und Jugendliche wurden nach 1800 seltener in das Zucht- oder Arbeitshaus eingewiesen. Für Kinder und Jugendliche gab es in Altenburg eine spezielle Anstalt, die "Roten Spitzen". Differenzierung und Professionalisierung sind für die Zeit nach 1800 zu beobachtende gesellschaftliche Tendenzen, die auch für die Leuchtenburger Anstalten und deren Einweisungskriterien nachzuweisen sind.




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